Ein Beschäftigungsprojekt der Österreichischen Naturparke und des AMS Niederösterreich gibt Langzeitarbeitslosen die Freude am Leben zurück.
Es ist so idyllisch im und um den Naturpark (NuP) Mannersdorf, dass einem als Besucher aus der Stadt fast schwummerig wird. Ziegen grasen auf einer grünen Wiese vor dem mitten im Park gelegenen alten Kloster, in dem gerade der sommerliche Kunstworkshop stattfindet. Und es ist ruhig. Genau das schätzt Manfred Hainzl so an seinem Arbeitsplatz. Wenn er nach rechts, links, hinten oder vorne schaut, sieht er den Wald und hört die Vögel, eine Wohltat für den 51-jährigen Schlossermeister mit dem gutmütigen Gesicht und dem bescheidenen Auftreten.
Vor seiner Ankunft im Naturpark Mannersdorf war Hainzl zwölf Jahre lang arbeitslos. Seine Geschichte ist für einen Langzeitarbeitslosen keine originelle. Ein Bandscheibenvorfall machte ihm die Arbeit in seinem gelernten Beruf unmöglich, Konkurrenz durch junge HTL-Absolventen machte den Schlossermeister mehr und mehr obsolet, und schließlich entdeckte man bei seiner Frau einen Gehirntumor, als ihr gemeinsames Kind gerade ein Jahr alt war. Hainzl blieb erst einmal zu Hause, kümmerte sich um Frau und Kind, bekam schließlich selbst Panikattacken und wurde trotz Umschulung zum CAD-Techniker für den Arbeitsmarkt von Tag zu Tag unattraktiver.

Arbeiter im Naturpark
Hainzl ist einer von gegenwärtig drei im Rahmen des Beschäftigungsprojekts „NuP aktiv“ beim Naturpark Mannersdorf angestellten Langzeitarbeitslosen. Seit August 2015 kümmert er sich mit seinen Kollegen um die Instandhaltung des Parks, schweißt unter anderem Geländer und zwickt Äste ab, die in die Wanderwege hängen. Die Arbeit hier mache ihm große Freude, sagt er. „Ich war auch früher im Berufsleben immer draußen auf Montage und daher taugt mir die Arbeit in einer Halle weniger. Hier kommt man raus, ein bisschen weg von den Problemen, die man zu Hause hat. Man kommt auf andere Gedanken“, erklärt er und wirkt auf einmal gelöst und beinahe glücklich.
Hainzls Erfahrung bestätigt den Kurs, den der Verband der Österreichischen Naturparke 2001 einschlug, als man gemeinsam mit dem AMS Niederösterreich das Projekt „NuP aktiv“ entwickelte, zu dem auch das Land Niederösterreich finanziell einiges beiträgt. Wer 365 Tage beim AMS als beschäftigungslos gemeldet ist und zusätzlich ein Vermittlungshemmnis mitbringt, erfüllt die Voraussetzungen, um sich für einen der gegenwärtig 14 Arbeitsplätze bei den Naturparken zu bewerben. Als Vermittlungshemmnis gelten neben gesundheitlichen Schwierigkeiten, Ausbildungsdefiziten, fortgeschrittenem Lebensalter und Schuldenproblemen unter Umständen auch ein Wohnort im vom Stadtgebiet fernen Raum – oder manchmal einfach nur, dass man eine Frau ist. Ist die Bewerbung bei „NuP aktiv“ erfolgreich, so erhalten die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen einen auf sechs Monate befristeten Vertrag, der den Regeln des Kollektivvertrages entsprechend auch Urlaubsanspruch, anteilig Urlaubs- und Weihnachtsgeld enthält und ein Gehalt von 1392 Euro brutto. Unter bestimmten Umständen ist eine Verlängerung auf höchstens ein Jahr möglich.
Das Besondere an „NuP aktiv“ ist allerdings die persönliche Betreuung der im Projekt angestellten Menschen. Man beschäftige sie nicht nur, sondern qualifiziere sie, bilde sie weiter und versuche, sie nach Ablauf ihrer Zeit bei den Naturparken in andere Jobs weiterzuvermitteln, erklärt Louise Kienzl vom Verband der Österreichischen Naturparke. Dabei werde auf alle möglichen
Fragestellungen im Zusammenhang mit Job und Lebensplanung eingegangen.
In Einzelcoachings und Gruppensitzungen begleitet Sozialpädagoge Stefan Drachsler die Mitarbeiter von „NuP aktiv“. Bei Problemen mit Schulden stellt er Kontakt zu Schuldnerberatungen her, das Ziel sei oft der Privatkonkurs. „Das ist uns auch schon ein paar Mal gelungen“, so Drachsler. Ein großes Thema seien auch psychische Beeinträchtigungen. „Es ist ein Teufelskreis. Arbeitslosigkeit kann psychische Beeinträchtigung bewirken, und aufgrund dieser psychischen Beeinträchtigung finden Menschen schwerer in den Arbeitsmarkt zurück“, erklärt er. Gerade beim Projekt „NuP aktiv“ habe man aber bemerkt, wie heilend und stabilisierend die Arbeit in der Natur sein kann. „Es hat mich fasziniert, welche Rückmeldungen man bereits nach ein bis zwei Monaten bekommt. Man kann sehen, dass es den Leuten besser geht“, so Drachsler. Auch Louise Kienzl bekräftigt diesen Effekt und spricht von Plänen, dieses Konzept der „Green Care“, wie es im Fachjargon heißt, für das Projekt weiter auszubauen.
Das Projekt nutzen besonders Menschen mit sehr geringer oder teilweise auch völlig ohne Ausbildung. Einige haben nach Volksschule und Sonderschule aufgehört. Für diese sähe es am Arbeitsmarkt erwartbar schlecht aus, so Drachsler. „Da kommen nur Jobs in der Landschaftspflege oder im Gemeindebereich in Frage. Die Produktionsjobs in der Industrie werden in Österreich ja immer weniger.“ Mit einer Weitervermittlungsquote von 57 Prozent bei 218 Personen über 15 Jahren hat das Projekt jedoch bereits bemerkenswerte Erfolge erzielt. Das Geheimnis liege darin, dass man sehr eng mit den Gemeinden verbunden sei. Da man die weiterzuvermittelnden Personen über die sechs bis zwölf Monate, die sie bei den Naturparken verbringen, gut kennenlernt, sei es zudem einfacher, Empfehlungen auszusprechen und etwas Passendes für den Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin zu suchen.
Zurück im Naturpark Mannersdorf rennt der Schmäh. Manfred Hainzl hat mittlerweile zwischen seinen Kollegen von „NuP aktiv“ Platz genommen. Die drei sind eine eng zusammengeschweißte Truppe, das merkt man sofort. Man schaut aufeinander, spottet liebevoll, greift zu, wo der andere Hilfe braucht. Reihum erzählen auch die anderen, wie sie hier gelandet sind. Da ist der 60-jährige Ernst Kreul, gleich von hier, aus Mannersdorf. Er ist gelernter Kfz-Mechaniker, hat jedoch den Großteil seiner beruflichen Karriere im Bergbau und als Disponent im Steinbruch verbracht. Irgendwann hieß es dann, er müsse gehen. Kreul merkte schnell, dass in seinem Alter kaum noch etwas zu machen war. „Es hat geheißen, sie suchen schon Leute, aber junge, weil alte haben sie selber.“ Auch Kreuls Frau musste am Kopf operiert werden. Neben dieser Belastung der Familie schrieb er Bewerbungen ohne Ende – erfolglos. Dass er zum Projekt „NuP aktiv“ kam, war für ihn das Beste, was ihm passieren konnte. Das Arbeitsklima hier sei optimal, und Arbeit müsse man ja überall verrichten, aber hier könne man es sich einteilen.
Rechts neben ihm sitzt die 38-jährige Manuela Pichler, von Beruf „gelernter Schlosser“, sagt sie. Vor „NuP aktiv“ war sie zwei Jahre lang arbeitslos, nicht aufgrund von Ausbildungsdefiziten oder mangelnder Erfahrung, sondern weil sie eine Frau in einem traditionell von Männern ausgeübten Beruf ist. Bei der Jobsuche bekam sie Sätze zu hören wie: „Wir haben doch gar keine Umkleideräume für Frauen.“ Und man zweifelte an ihrer Körperkraft. „Dabei schupf‘ ich doch so ein 30-Kilo-Sackerl locker über die Schulter“, sagt sie grinsend. Man glaubt es ihr sofort. Sie will nicht mehr zurück ans Fließband, im Naturpark gefällt ihr, dass man viel draußen sein kann. „Eigentlich würde ich mir wünschen, dass ich für immer hierbleiben kann“, sagt Pichler. Sie hoffe nun auf die Verlängerung, damit sie wenigstens noch ein paar Monate hier habe. Sie habe vielleicht auch eine Möglichkeit, sich bei einer Firma in der Umgebung zu bewerben, aber das stehe noch in den Sternen. „Aber ich glaube, so ein Arbeitsklima wie hier find ich nie und nimmer wieder. Da hat es vom ersten Tag an gepasst, das findet man nur einmal im Leben“, so Pichler, auch ihre Kollegen nicken schweigend.
Pichler ist nicht die einzige, die bald gehen muss. Auch Ernst Kreuls Vertrag endet im August. Was dann? „Dann kommt wieder das AMS zum Zug. Ich bin jetzt so weit, dass ich sage, es ist mir egal. Ich kann es eh nicht ändern. Ich geh’ jetzt wieder ein Jahr stempeln, und mit 1. Jänner 2018 habe ich die Pensionszusage. Dazwischen fahre ich halt auf Kur oder bin in Krankenstand. Ich sage es ehrlich, das sind die Fakten, denn am Arbeitsmarkt habe ich keine Chance mehr, und aus. Da geht gar nichts mehr“, so Kreul resignierend.
Dass gerade der Naturpark Mannersdorf so erfolgreich mit „NuP aktiv“ ist, hat, fragt man die drei Mitarbeiter, besonders einen Grund: den „Koarl“. Karl-Heinz Aschbacher hat viel Erfahrung in der Mitarbeiterführung aus seinem früheren Arbeitsleben in einem großen Betrieb sowie in der Gemeindepolitik. Als er in Pension ging, sprach der Bürgermeister sinngemäß: „Es könnte sein, dass dir fad wird, Koarl.“ Er schlug vor, dass Aschbacher sich des bis dahin ein wenig in die Verwahrlosung abgeglittenen Naturparks annehmen könnte. Aschbacher übernahm daraufhin ehrenamtlich die Leitung des Parks und kümmert sich infolgedessen auch um die Mitarbeiterinnen von „NuP aktiv“. Der 69-Jährige grinst freundlich, ist sichtlich der Schutzherr von allem, das ihn hier im Park umgibt und geht fast väterlich mit seinen Angestellten um. „Ich hab‘ schon in einigen Firmen gearbeitet, aber das ist der beste Chef, den ich jemals gehabt habe“, so Manfred Hainzl. Man könne immer zu ihm kommen, egal ob das Problem eher beruflicher oder privater Natur sei. Er habe die drei Mitarbeiter immer unterstützt, sagt Hainzl.
Aschbacher gibt das gerne zurück. „Das sage ich jetzt nicht, weil sie mich gelobt haben, aber es sind nicht alle so wie diese drei.“ Aschbacher betreut die „NuP aktiv“-Mitarbeiter seit vielen Jahren. Es sei unter den vielen guten Leuten, die sie gehabt hätten, auch schon vorgekommen, dass man einmal jemanden „zurückgeben“ musste. „Da hatten wir einen Burschen, der ist einmal gekommen, dann wieder nicht, dann rief man an, dann hat er gesagt, er war eigentlich krank, und was jetzt ist, weiß man auch nicht. Das geht dann natürlich nicht. Wir haben ja auch die Verantwortung für die Mitarbeiter und den Park“, so Aschbacher. Bei neuen Mitarbeitern müsse man eben am Anfang ein wenig mehr dahinter sein, dass das, was man sich erwartet, auch passiert. Seinen gegenwärtigen Schützlingen müsse er nicht mehr sagen, wann der Rasen gemäht werden muss, diese täten das von alleine.
Stolz zeigt das Team anschließend sein Reich her. Das Geländer dort sei neu, die Stufen da hinten hätten sie neu gemacht, dort im Keller hätten sie unlängst erstmals ein Licht hineingemacht, und was man mit dem Klostergarten am besten täte, müsse man sich auch noch überlegen. „Es ist einfach ein Traum, wenn man wieder herauskommt und merkt, dass man gebraucht wird“, so der 60-jährige Ernst Kreul. Auch Manuela Pichler erzählt aus ihrem Leben vor „NuP aktiv“. „Ich hatte Depressionen und bin irgendwie in ein Loch gefallen“, sagt sie. Doch das sei vorbei, seit sie hier arbeite. „Ich bin noch nie in meinem Leben so glücklich gewesen wie hier“, so Pichler. Sogar ihre Freunde hätten bemerkt, dass sie regelrecht aufblühe, seit sie hier arbeitet.
Karl-Heinz Aschbacher erklärt seine Philosophie wie folgt: „Das Wichtigste ist, dass die Leute eine sinnvolle Beschäftigung haben. Es hat keinen Sinn, wenn man sie nur schickt, dass sie irgendwas machen, nur um etwas zu machen. Es ist wichtig, dass es Spaß macht, und manchmal muss man den Spaß eben suggerieren. Dann sag ich eben: Geht doch raus in die Natur, nehmt eine Zange mit und zwickt die Äste weg, damit die Leute durchgehen können. Und schaut, wo es etwas zu tun gibt. Ihr müsst ja nicht in einer halben Stunde wieder da sein.“
Doch auch Aschbachers Tage hier sind gezählt. Ende des Jahres möchte er in die wohlverdiente Pension gehen, mit seiner Frau verreisen. Für ihn oder eher für die Österreichischen Naturparke gilt es nun, einen neuen guten Schutzgeist für „die Wüste“, wie der Mannersdorfer Naturpark heißt, zu finden. Es sei den zukünftigen Mitarbeitern des Parks gewünscht, dass es wieder einer ist, der es versteht, am Arbeitsplatz eine Atmosphäre von Freundschaft und Sinnhaftigkeit zu schaffen und der dazu beiträgt, dass die Narben der Demütigung einer langen erfolglosen Arbeitssuche Schritt für Schritt heilen.
QUELLE:
Wiener ZeitungIWiener Journal